[ Pobierz całość w formacie PDF ]

worüber er sich derart lautstark beschwerte, dass mein
Vorgesetzter mir eine Nachricht auf dem Schreibtisch
hinterließ, ich möge mich nach der Vernehmung von
Frau Karge sofort bei ihm melden. Er bat mich, Kolb zu
beruhigen und ihn endlich zu vernehmen.
»Und wo ist Martin?«, fragte Volker Thon.
70
Ich wusste es nicht. Er war nicht aufgetaucht, er hatte
nicht angerufen.
»Jemand muss zu ihm fahren und nachsehen«, sagte ich.
»Er kommt sowieso nicht in die Soko.«
»Brauchst du ihn nicht?«
»Natürlich brauch ich ihn!« Thon kratzte sich mit dem
Zeigefinger am Hals. Alle drei Minuten erhielt er einen
Anruf von Kollegen, die in der Stadt auf Recherche un-
terwegs waren. Und in einer halben Stunde fand die erste
Pressekonferenz im Haus statt, was seine Angespannt-
heit noch verstärkte. In Thons Augen trieben die meisten
Journalisten ein hinterhältiges Spiel und waren nur auf
Sensationen und fehlerhaftes Verhalten seiner Mitar-
beiter aus.
»Möchten Sie etwas essen?«, fragte ich Torsten Kolb, der
neben dem Gummibaum in Webers Büro saß, die Hände
auf dem Tisch, mit Handschellen gefesselt.
»Wollen Sie mich verarschen?«, sagte er.
Ich sagte: »Wenn Sie versprechen, sich ruhig zu verhal-
ten, nehme ich Ihnen die Handschellen ab.«
»Los!«
Ich sperrte die Handschellen auf und legte sie auf den
Schreibtisch. Weber war nicht im Zimmer.
»Möchten Sie etwas essen?«, sagte ich.
»Ich will hier raus.«
»Noch ein Gespräch, dann sind Sie an der Reihe«, sagte
ich und verließ das Büro. Er rief mir etwas hinterher, das
ich sofort vergaß.
Im zweiten Stock wartete Erika Haberl an ihrem Laptop
71
auf mich. Dr. Mira Scott hatte auf demselben Stuhl Platz
genommen wie Ilona Karge. Ich belehrte sie über ihre
Rechte und nahm ihre Personalien auf.
Beginn der Vernehmung: vierzehn Uhr.
»Wurde Nastassja von ihrem Vater sexuell missbraucht?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ja oder nein?«
»Nein. Auf so eine Frage war ich nicht gefasst. Wieso fra-
gen Sie mich so was?«
»Finden Sie die Frage abwegig?«
»In diesem Fall schon.«
»Torsten Kolb hat seine Tochter geschlagen.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Sie sind Kinderärztin und Psychotherapeutin, die Kinder
der Familie Kolb sind bei Ihnen in Behandlung.«
»Ja.«
»Sie haben keine Hinweise auf Misshandlungen durch
den Vater oder die Mutter?«
»Sexuelle Misshandlungen?«
»Ja.«
»Nein. Ich weiß aber, dass der Mutter manchmal die Hand
ausrutscht. Sie hat auch schon mal den Kleiderbügel be-
nutzt.«
»Auch bei Nastassja?«
»Ich würd es nicht ausschließen. Allerdings hat das Mäd-
chen keine schweren Verletzungen davongetragen, die
hätt ich bemerkt.«
»Haben Sie mit Frau Kolb darüber gesprochen?«
72
»Sie hat zugegeben, dass sie manchmal etwas streng ist.
Ich hab auch mit den Kindern allein gesprochen, sowohl
mit Fabian als auch mit der kleinen Nastassja. Und keiner
von beiden hat etwas Negatives über die Mutter gesagt.
Sie haben die Schläge eingeräumt, nahmen ihre Mutter
aber geradezu in Schutz. Sie sagten, ihre Mutter meine es
bestimmt nicht böse.«
»Würden Sie sagen, Fabian ist eine Art Beschützer für
seine kleine Schwester?«
»Ja, er liebt sie, er nimmt sie bei der Hand, führt sie über
die Straße, streichelt ihr Gesicht, die beiden haben ein
enges Verhältnis. Ungewöhnlich, wenn man bedenkt,
dass der Junge dreizehn ist und sie erst sechs.«
»Was sagen die beiden über ihren Vater?«
»Wenig. Fabian redet ungern über ihn, und Nastassja
reagiert kaum, wenn man sie auf ihren Vater anspricht.
Sie geht mit ihm manchmal zum Schwimmen, er holt sie
ab und bringt sie auch pünktlich zurück. Aber sonst? Die
Eltern sind praktisch getrennt.«
»Leidet die Mutter unter der Trennung?«
»Sie leidet eher unter dem unausgegorenen Zustand. Ich
bin sicher, sie hätte ihr Leben besser im Griff, wenn sie
geschieden wären. Aber da ist nichts zu machen. Ich
hab mal versucht, mit ihr darüber zu sprechen. Ausweg-
los. Sie will sich nicht scheiden lassen, sie sagt, die
Kinder brauchen ihren Vater. Ich hab ihr erklärt, den hät-
ten sie auch nach einer Scheidung, auf die eine oder
andere Art, auf jeden Fall würden sie ihn nicht weniger
sehen als jetzt. Keine Chance. Lieber lässt sie sich mies
73
behandeln und macht alles alleine, die Erziehung, die
Schule, alles.«
»Meine Kollegen nehmen Kontakt mit allen Verwandten
der Familie auf, mit den Freunden, Großeltern, Mitschü-
lern, Nachbarn, mit allen möglichen Bezugspersonen.
Bisher ohne Erfolg. Wo könnte sich Nastassja versteckt
halten, vorausgesetzt, sie wurde nicht entführt?«
»Ich hab darüber nachgedacht. Und da fiel mir auf, wie
wenig ich eigentlich von ihr weiß. Ich kenne ihren Kör-
per, ich habe ihre Krankheiten behandelt, ich rede mit
ihr, sie ist ein waches, intelligentes Kind. Ich weiß, in
welchen Kindergarten sie geht, oder gegangen ist, sie ist
ja nicht mehr dort. Aber sonst? Nein, ich weiß nicht, wo
sie sein könnte. Wie geht es der Mutter?«
»Nicht gut, sie trinkt und nimmt Tabletten. Wann haben
Sie Torsten Kolb zum letzten Mal gesehen?«
»Das ist lang her. Ich war mal auf Hausbesuch, als Nas-
tassja Windpocken hatte. Vor einem Jahr ungefähr. Da
war er da. Ich hab ein paar Worte mit ihm gewechselt. Er
zeigte wenig Interesse an seiner kranken Tochter.«
»Würden Sie Nastassja als trauriges Kind bezeichnen?«
»Wie kommen Sie denn darauf? Traurig? Nein. So hat sie
noch nie auf mich gewirkt. Was meinen Sie genau mit
traurig?« [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]
  • zanotowane.pl
  • doc.pisz.pl
  • pdf.pisz.pl
  • rafalstec.xlx.pl